Ärztliche Kollegenschelte
Die Standesorganisation SAMW kritisiert die eigenen Arztkollegen, einige von ihnen seien nicht sorgfältig genug beim Leisten von Sterbehilfe. Was ist dran?
In der Schweiz ist Sterbehilfe nahezu ausschliesslich eine ärztliche Hilfe. Sowohl bei der passiven Sterbehilfe (sterben lassen), bei der indirekt aktiven (sterben in Folge nehmen durch Medikamente) wie auch bei der Freitodhilfe mit Sterbemedikament (Abklärungen, Bescheinigung, Rezeptierung) ist stets ein Arzt direkt involviert. Das hat die vergangenen Jahrzehnte gut funktioniert; dem Staat ist es sogar wichtig, einen Mediziner als Garant für Sorgfalt dabeizuhaben, das System fand in der Bundesvernehmlassung 2010 Unterstützung von allen Seiten. Nun kommt es plötzlich zu Kritik. Und das ausgerechnet von ärztlicher Seite.
Die "Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften" - eine Fachorganisation, kurz SAMW genannt - rüffelt in einer "Stellungnahme" ihrer "zentralen Ethikkommission" Schweizer Ärztinnen und Ärzte, die Sterbehilfe leisten. Gemäss einer Studie der Universität Zürich (Felix Gutzwiller et. al.) kommt es in der Schweiz jedes Jahr zu 30'000 Fällen passiver und indirekt aktiver Sterbehilfe, zu 500 Fällen von medikamentöser Freitodhilfe und sogar zu 400 Fällen aktiver Sterbehilfe durch den Arzt. Und nun will die SAMW aufgrund einer Handvoll Einzelfälle aus der Vergangenheit feststellen, dass sich Ärzte nicht immer an die "SAMW-Richtlinien" hielten.
Grundsätzlich ist es zu begrüssen, wenn eine Fachorganisation für Qualitätsarbeit einsteht und den Kollegen auf die Finger klopft. EXIT, die ja in jedem einzelnen Fall von Freitodbegleitung mit den Ärzten zusammenarbeitet, kann der Schweizer Ärzteschaft allerdings ein gutes Zeugnis ausstellen. Sie hält sich an Gesetze und Regeln - muss es im Fall der ärztlichen Freitodhilfe ja auch, da jeder Fall von den Untersuchungsbehörden unmittelbar auf strafrechtliche Verfehlungen untersucht wird.
Wozu also die gross an die Medien versandte "Stellungnahme"? Und weshalb werden dabei nur zwei Fälle aus der ärztlichen Freitodhilfe, aber kein einziger aus passiver und indirekt aktiver Sterbehilfe angeschaut? Besieht man sich die "Stellungnahme" der SAMW-"Ethikkommission" genauer, stellt man fest, dass es ihr vor allem um das Kriterium der "unmittelbaren Todesnähe" geht. Die ärztlichen Richtlinien der SAMW gelten nur für Patienten am Lebensende, zu Sterbehilfe an anderen Patienten hat sie keine Richtlinien erlassen. Im Gesetz, der Rechtssprechung und auch gemäss der Nationalen Ethikkommission ist Sterbehilfe ohnehin auch bei anderen Patienten zulässig (etwa bei Chronischkranken, Schmerzpatienten, Totalgelähmten). Die Bundesvernehmlassung hat den breiten Konsens ergeben, dass Todesnähe kein Kriterium sein darf, da Dauerkranke oft mehr leiden als Sterbende.
Die Akademie will den demokratischen Prozess offenbar nicht akzeptieren und lobbyiert mit solchen "Stellungnahmen" daraufhin, dass ihre eigene Ansicht der "Todesnähe" wieder zum Thema gemacht wird. Böse Zungen behaupten auch, sie versuche, Kollegen einzuschüchtern, die auch einmal einem chronisch Leidenden oder Gelähmten ein Rezept ausstellen ...