Angemessener Freispruch für Freitodbegleiterin
Das Baselbieter Kantonsgericht hat die Freitodbegleiterin Erika Preisig von der Sterbehilfeorganisation Life Circle vom Hauptanklagepunkt der vorsätzlichen Tötung freigesprochen. EXIT begrüsst das Urteil.
Das Kantonsgericht des Baselland ist der Anklage der Staatsanwältin im zweitinstanzlichen Prozess gegen Erika Preisig nicht gefolgt. Sie hatte der Ärztin von der Sterbehilfeorganisation Life Circle vorgeworfen, im Jahr 2016 eine suizidale und nicht urteilsfähige 66-jährige Frau in den Tod begleitet zu haben. Die Staatsanwaltschaft warf Preisig vorsätzliche Tötung vor, weil sie es unterlassen habe, ein psychiatrisches Gutachten zur Urteilsfähigkeit der Patientin einzuholen. Sie forderte deshalb eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und ein ebenso langes Tätigkeitsverbot.
Preisig und die Verteidigung hingegen hatten für einen vollumfänglichen Freispruch plädiert. Die 63-Jährige wies darauf hin, sie habe die Patientin immer als urteilsfähig wahrgenommen. Preisig zeigte sich überzeugt, dass somatische Beschwerden zum Todeswunsch der Patientin geführt hätten. Die Rentnerin habe nicht unter einer schweren psychischen Krankheit mit psychosomatischen Beschwerden gelitten, wie es in einem nach dem Tod erstellten Gutachten der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) stand. Der Verteidiger verwies zudem darauf, dass der Gutachter selbst „Mängel und Unschärfen“ in seinem Gutachten eingeräumt hatte. Zudem fehlten darin relevante Akten, es sei demnach nicht rechtsgültig.
Nun hat das fünfköpfige Richtergremium Preisig vom Anklagepunkt der vorsätzlichen Tötung erneut freigesprochen. Ebenfalls hob das Gericht das verhängte vierjährige Verbot der Sterbemittel-Verschreibung für psychisch Kranke auf und verringerte die erstinstanzlich verfügte Busse. Als Begründung führten die Richter unter anderem an, dass die Patientin zum Zeitpunkt der Freitodbegleitung urteilsfähig gewesen sei.
EXIT hält fest, dass grundsätzlich jeder Mensch in der Schweiz die Dienste einer Sterbehilfeorganisation in Anspruch nehmen darf, wenn er urteilsfähig ist und unerträglich leidet. Bei Menschen mit psychischen Erkrankungen muss die Urteilsfähigkeit gemäss einem Grundsatzentscheid des Bundesgerichts von einer/m Fachärztin/-arzt für Psychiatrie speziell geprüft werden.
Preisig bekundete laut eigenen Angaben grosse Schwierigkeiten, Psychiater für die verlangten Fachgutachten zu finden. Weil sie die 66-Jährige nicht länger leiden lassen und einen absehbaren harten Suizid verhindern wollte, entschied sie sich, die Freitodbegleitung aufgrund der Aussagen von Bezugspersonen der Patientin und ohne psychiatrisches Gutachten durchzuführen. EXIT-Vizepräsident Jürg Wiler sagt dazu: „Obwohl die Ärztin damit die Vorgaben des Bundesgerichts vernachlässigt hat, erachtet EXIT den Freispruch des Gerichts im Hauptanklagepunkt der vorsätzlichen Tötung als angemessen. Eine Freiheitsstrafe wäre nach Meinung von EXIT viel zu hart gewesen.“ Das nun vorliegende Urteil erachtet EXIT als – zweitmalige – Warnung von Seiten eines Gerichts.
EXIT-Präsidentin Marion Schafroth unterstreicht: „Damit haben die Richter der Patientenautonomie berechtigtes Gewicht beigemessen und zeigen Verständnis für die Ärztin Preisig; ihre Motivation war, unerträgliches Leiden bzw. einen Gewaltsuizid zu verhindern. Wichtig ist: Auch mit diesem zweiten Prozess ist weder die Suizidhilfe in der Schweiz grundsätzlich zur Debatte gestanden noch das Vorgehen von EXIT im Umgang von Menschen mit psychischer Erkrankung und Freitodwunsch.“ Der Verein hält sich strikte an die Leitplanken des Bundesgerichts und begleitet nur selten psychisch Leidende. So hat EXIT im Jahr 2020 bei 21 Menschen mit einer psychischen Krankheit Freitodhilfe geleistet; das waren 2% aller 913 Begleitungen. 2019 waren es 17 von insgesamt 862 oder 2%.
EXIT ist überzeugt, dass die Suizidhilfe in der Schweiz gesetzlich ausreichend geregelt ist. Marion Schafroth: „Das zeigen die 35 Jahre Freitodhilfe in unserem Land. Auch für die Begleitung von psychisch kranken Menschen drängen sich keine neuen gesetzlichen Massnahmen auf. Hier sind nicht fehlende Gesetze das Problem. Tatsache vielmehr ist, dass nur sehr wenige Psychiater bereit sind, psychisch kranke Menschen mit Sterbewunsch hinsichtlich Urteilsfähigkeit neutral zu beurteilen und dafür mit einer Sterbehilfeorganisation zusammenzuarbeiten. Auch für EXIT ist diese Situation schwierig und letztlich noch unbefriedigend.“