Freitodbegleitung in Heimen: «Zum Dammbruch ist es nicht gekommen»
Vor 17 Jahren erlaubte der Zürcher Stadtrat Sterbehilfe in den städtischen Alters- und Pflegeheimen. Damit betrat er Neuland – und erntete auch heftige Kritik. Rosann Waldvogel, Direktorin der Alterszentren der Stadt Zürich, nimmt Stellung zur heutigen Situation.
Mit seinem Entscheid wirkte der Zürcher Stadtrat als Pionier: Er legte im Jahr 2000 fest, dass ein von einer Sterbehilfeorganisation begleiteter Freitod für Bewohnende von Stadtzürcher Alters- und Pflegeheimen erlaubt sei. Vorher hatten sie ihr Heim jeweils zu diesem Zweck verlassen und nach oftmals beschwerlichem oder gar schmerzhaftem Transport in fremder Umgebung sterben müssen. Inzwischen haben viele Heime in der Schweiz die Praxis von Zürich übernommen.
Auf die Frage, ob nach Einführung der neuen Regelung die Zahl der Freitodbegleitungen in Stadtzürcher Heimen wie befürchtet sprunghaft gestiegen sei, sagt Rosann Waldvogel, Chefin von 24 Stadtzürcher Alterszentren: «Nein. Heute kann ich sagen: Es ist definitiv nicht zum Dammbruch gekommen!» Bei den rund 2100 Bewohnenden sei mit durchschnittlich 5 bis 6 Freitodbegleitungen pro Jahr eine stabile Entwicklung zu verzeichnen.
Kritische Stimmen sagen, Sterbehilfe in Heimen löse einen negativen Sog auf Mitbewohnende aus. So würden Menschen, die in ihrem Umfeld Suizide erlebt hätten, statistisch gesehen eher dazu neigen, ebenfalls Suizid zu begehen oder Freitodhilfe zu beanspruchen. Waldvogel verneint: «Das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Ich habe noch nie von einer Pflegeperson gehört, dass, weil jemand eine Freitodbegleitung in Anspruch genommen hat, jemand anders ebenfalls gegangen sei. Das ist auch statistisch gesehen nicht belegt. Sonst hätten wir ja viel höhere Zahlen.»
Zum vielzitierten «subtilen Druck» auf Menschen, der zum Gefühl führe, anderen zur Last zu fallen, meint Waldvogel unter anderem: «Ich denke, der gesellschaftliche Druck ist ein ganz grosses Thema für alte Menschen. Meiner Meinung nach hat aber nur ein kleiner Teil davon mit Freitod zu tun.»
Die Mitarbeitenden der Alterszentren seien bei den Freitodbegleitungen nicht direkt involviert, sagt sie. So komme die Freitodbegleiterin ins Haus und bespreche alles Nötige mit dem sterbewilligen Menschen. Die Leitung werde erst kurz vor dem Festlegen des Termins involviert. Sie stelle dann sicher, dass alles Wichtige vorhanden ist. «Mitarbeitende können der konkreten Freitodbegleitung gut ausweichen, wenn es sie zu sehr belastet», stellt Waldvogel fest. (JW)
Weitere Informationen dazu in der städtischen Publikation «intercura».