Freitodhilfe ist auch Familiensache
Entscheidet sich ein leidender Mensch für eine Freitodbegleitung, sind Angehörige überaus stark gefordert. EXIT ist vor allem den sterbewilligen Patientinnen und Patienten verpflichtet, zugleich sind die Begleitpersonen auch für Angehörige da.
Wie ist der Umgang von EXIT mit Angehörigen intern geregelt?
Ein Todesfall ist immer traurig und sehr belastend für die Angehörigen. Ob es sich nun um einen natürlichen Tod oder um eine Freitodbegleitung handelt. Für Angehörige ist es fast immer zu früh, wenn ein Familienmitglied stirbt. Wir sind uns bewusst, dass wir uns bei den assistierten Suiziden in einem äusserst sensiblen Bereich bewegen. Daher versuchen die Begleitpersonen vor einer Freitodbegleitung immer, die Angehörigen miteinzubeziehen.
Wie werden Angehörige konkret involviert?
Wenn immer möglich werden die Angehörigen beim Erstgespräch, welches normalerweise beim Sterbewilligen zuhause stattfindet, eingebunden. Die Begleitpersonen wissen, dass es empfehlenswert ist, wenn man bereits vor einer Freitodbegleitung mit den Angehörigen in Kontakt sein kann. Mit ihnen können Fragen geklärt werden. Zum Beispiel, ob sie – wenn sie wollen – auch bei der Begleitung dabei sein können.
Wo liegt das Augenmerk der Begleitpersonen?
Letztlich entscheidet der sterbewillige Mensch selbst, wann für ihn die Zeit gekommen ist, um zu gehen. EXIT ist also primär dem sterbewilligen Patienten verpflichtet. Wir nehmen uns so viel Zeit, wie sie die Patientin oder der Patient braucht. Alles korrekt zu machen im Sinne des Patienten, hat für EXIT Priorität. Es stellt sich manchmal die Frage: Soll der Verein nur helfen, wenn sämtliche Angehörigen bis hin zu den mündigen Enkeln einverstanden sind? Doch das wäre unfair gegenüber dem Sterbewilligen. Der selbstbestimmte Tod ist letztlich etwas, das der Sterbewillige selbst verantwortet.
Worauf legt EXIT Wert?
Für die Angehörigen ist der Todesfall ein aussergewöhnliches, sehr einschneidendes Ereignis, das Trauer und andere starke Emotionen auslöst. In einer solchen existenziellen Situation ist man sehr sensibel und emotional verletzlich. Darauf machen wir unsere 50 Begleitpersonen in der Ausbildung und in Weiterbildungen immer wieder aufmerksam.
Wie viele Beschwerden von Nahestehenden erhält der Verein?
EXIT verzeichnet rund 1200 Akteneröffnungen sprich Vorbereitungen für Freitodbegleitungen pro Jahr. Beschwerden von Angehörigen erhalten wir maximal 8 pro Jahr; das ist weniger als 1 Prozent aller Akteneröffnungen. Bei den anderen über 99 Prozent erhalten wir keine Beanstandungen.
Was trägt zu einem guten Gelingen einer Begleitung bei?
Vieles hängt davon ab, inwiefern es gelingt, die Phase vor dem Tod für alle Beteiligten so zu gestalten, dass alles Nötige besprochen wird und allenfalls bestehende Auseinandersetzungen noch ausdiskutiert werden können. Nicht selten steht in einer Familie noch Unausgesprochenes oder Unerledigtes im Raum. Oder jemand stirbt entgegen den Wertvorstellungen von Angehörigen mit EXIT. Mit anderen Worten können also bei einer Begleitung alte Familiengeschichten aufbrechen. Hier hilft, vorausschauend zu handeln. Wichtig zu wissen ist, dass die Begleitpersonen keine Therapeuten sind und keine Familienkonflikte lösen können.
Wer überprüft, ob eine Freitodbegleitung korrekt verlaufen ist?
Jeder Freitod wird von den Behörden als «aussergewöhnlicher» Todesfall taxiert. Das löst überall in der Schweiz eine behördliche Untersuchung unmittelbar nach dem Versterben eines Menschen aus. EXIT ist verpflichtet, dies umgehend der Polizei zu melden. Obwohl die Präsenz der Behörden kurz nach dem Abschied für Hinterbliebene belastend sein kann: Die Inspektionen und das juristische Verfahren sichern die Arbeit des Vereins ab und entlasten alle Anwesenden von jeglichem Verdacht. Überdies prüft die Geschäftsprüfungskommission (GPK) von EXIT als Kontrollorgan nach einer Freitodbegleitung die entsprechenden Akten.
Leiden Angehörige nach einem assistierten Suizid mehr als nach einem anderen Todesfall?
Ein Todesfall – auch ein begleiteter und umsorgter, bei dem gebührend Abschied genommen werden kann – löst immer einen schmerzlichen, selten gar einen traumatischen Prozess aus. EXIT macht die Erfahrung, dass nach einer Begleitung Angehörige eher weniger stark leiden als Menschen, welche ein geliebtes Familienmitglied im Spital oder durch einen anderen Todesfall verloren haben. Der Grund: Angehörige haben bei einer Freitodbegleitung die grosse Chance, sich im Voraus mit dem Unausweichlichen zu befassen, sie können nochmals ausgiebig Gespräche führen und Ungesagtes aussprechen. Der Tod kommt nicht überraschend. Nahestehende können beim endgültigen Abschied dabei sein und ihr Familienmitglied beim Sterben begleiten.