Österreich einigt sich auf neues Sterbehilfegesetz
Ein Gesetzesentwurf für die zukünftige Regelung der Hilfe beim Suizid liegt vor. Neu können sterbewillige Menschen ab Anfang 2022 – ähnlich wie eine Patientenverfügung – eine Sterbeverfügung errichten.
Bis Dezember 2020 galt in Österreich Paragraf 78 im Strafgesetzbuch, worin steht: „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen“. Dann jedoch hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge „oder ihm dazu Hilfe leistet“ auf. Die Begründung: Es widerspreche dem Recht auf Selbstbestimmung, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten.
Im katholischen Nachbarland begann ein langes Ringen um eine neue Gesetzesvorlage. Diese sollte verhindern, dass die Hilfe beim Suizid ab 1. Januar 2022 gesetzlich ungeregelt möglich gewesen wäre. Nun haben die beiden Regierungsparteien ÖVP und die Grünen einen gemeinsamen Gesetzesentwurf vorgelegt. Darin wird die Hilfe beim Suizid erlaubt, aber mit verschiedenen Restriktionen ein enger Rahmen gesetzt.
Ab Anfang nächsten Jahres können Betroffene in einer sogenannten Sterbeverfügung ihren beständigen Entschluss festhalten, gegebenenfalls Hilfe bei Suizid in Anspruch zu nehmen. In Frage dafür kommen einzig volljährige und entscheidungsfähige Menschen, die dauerhaft schwerkrank oder unheilbar krank sind. Vorgängig müssen zwei Ärzte, einer davon mit palliativmedizinischen Qualifikationen, die sterbewillige Person über ihre Möglichkeiten aufklären. Beide müssen unabhängig voneinander die Entscheidungsfähigkeit des Sterbewilligen bestätigen. Wenn Zweifel bestehen, wird zusätzlich ein Psychiater oder Psychologe eingeschaltet. Damit kurzfristige Krisen möglichst ausgeschlossen werden können, muss vor der Errichtung der Sterbeverfügung eine Frist von drei Monaten eingehalten werden. Nur für Menschen, die noch wenige Wochen zu leben haben, kann diese Frist auf zwei Wochen verkürzt werden.
Die Sterbeverfügung dient als Berechtigung, um in einer Apotheke ein Sterbemittel wie Natrium-Pentobarbital zu beziehen. Das Mittel muss selbstständig eingenommen werden, damit der weiterhin strafbare Tatbestand „Tötung auf Verlangen" nicht zum Zuge kommt. Verboten bleibt die Suizidhilfe ausserdem bei Minderjährigen, aus verwerflichen Beweggründen (Habgier), bei Personen, die nicht an einer schweren Krankheit leiden und wenn keine ärztliche Aufklärung stattgefunden hat. Um die Entstehung von Sterbehilfeorganisationen zu erschweren, wurde ausserdem ein Werbeverbot verankert, d.h. es dürfen keine wirtschaftlichen Vorteile aus der Suizidhilfe entstehen. Begleitet wird das neue Gesetz durch einen Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung, wozu ein eigener Fonds errichtet werden soll.
Währenddem die Ermöglichung der Suizidhilfe im kirchlichen Umfeld auf Ablehnung stösst, begrüsste die Österreichische Gesellschaft für ein Humanes Lebensende (ÖGHL) das geplante Sterbeverfügungsgesetz grundsätzlich. Wolfgang Obermüller, Politiksprecher der ÖGHL, wies jedoch auf die Problematik des Werbeverbotes hin: „Wir finden den geplanten Gesetzesvorschlag über weite Teile sehr gut. Allerdings müsste sichergestellt werden, dass hinter dem beabsichtigten Werbeverbot nicht ein generelles Informationsverbot steht – was unannehmbar wäre. Auch ein Gewinnverbot darf nicht bedeuten, dass gemeinnützig orientierte Vereine oder Ärzte ohne Bezahlung arbeiten müssen“. Zudem sei es unbedingt notwendig, dass Freitodhilfe auch in Hospiz- und Pflegeeinrichtungen möglich werde. Man könne den betroffenen Menschen nicht zumuten, dass sie für ihre letzten Schritte ihre gewohnte Umgebung verlassen müssten.
Nach einer parlamentarischen Begutachtungsfrist wird das Parlament voraussichtlich im Dezember über die endgültige Umsetzung des neuen Gesetzes beschliessen.