Jahresbericht 2023
Vorstand und Geschäftsstelle
Präsidium (Marion Schafroth)
Wachstum und Weiterentwicklung – unsere Herausforderung
Es entspricht der bewährten Praxis, dass ich als Präsidentin innerhalb des Vorstandskollegiums die Rolle der «Prima inter pares» einnehme. Eine meiner Hauptaufgaben ist die Vorbereitung und Leitung der acht jährlichen Vorstandssitzungen. In guter Kooperation mit dem Geschäftsführer sorge ich dafür, die innerhalb der einzelnen Ressorts vorbereiteten Geschäfte rechtzeitig zu traktandieren, sodass der Gesamtvorstand diese diskutieren und beschliessen kann. Kernanliegen des Vorstands ist es, von strategischer Seite her unter Anlehnung an die Prinzipien von «Good governance» sicherzustellen, dass der Verein EXIT seinen Zweck zugunsten seiner Mitglieder möglichst gut erfüllt. Das geht nur, wenn sich die Organisation ihrem starken Wachstum entsprechend entwickelt.
Wie gross diese Herausforderung ist, mögen einige Zahlen veranschaulichen: Ende 2023 hatte EXIT 167 631 Mitglieder, das sind 32 000 mehr als drei Jahre zuvor (+ 24 Prozent). Die Zahl der Freitodbegleitungen stieg von 913 im Jahr 2020 auf 1252 im 2023 (+ 36 Prozent).
Wir entschieden, nicht nur mehr Mitarbeitende anzustellen, sondern nach der Reorganisation des Bereichs Freitodbegleitung auch die operative Ebene der Geschäftsleitung weiter auszubauen und zu stärken. Informationen dazu finden Sie in den Berichten der Geschäftsleitung sowie des Ressorts Freitodbegleitung.
Am 9.6.2023 leitete ich die Vereinsversammlung (VV) im «Volkshaus» Zürich. 233 Stimmberechtigte nahmen physisch daran teil, 878 wählten den Weg der Online-Stimmabgabe. Die VV fand zum zweiten Mal in dieser hybriden Form statt und ging dank intensiver Vorbereitung und gutem Zusammenspiel mit den externen Partnern (Stimmrechtsvertretung, Technik) pannenfrei über die Bühne.
Wie an der VV 23 angekündigt, haben wir die nötigen Beschlüsse gefasst, um die Stiftung palliacura juristisch von EXIT zu lösen. Ebenso wie mein Vorstandskollege Andreas Stahel konnte ich somit per Ende 2023 als Stiftungsrätin palliacura zurücktreten (siehe dazu Bericht palliacura).
Informations- und Öffentlichkeitsarbeit sind ebenfalls Teil meiner Aufgabe. An dieser Stelle erwähnenswert scheint mir meine Teilnahme an der SRF-Sendung «Forum» im Radiostudio Zürich (13.5.) sowie an zwei grösseren öffentlichen Podien in den Städten Baden (9.3.) und Liestal (19.9.)
Auch 2023 wirkte ich als Mitglied in folgenden EXIT-internen Gremien mit: Ethikkommission (3 Sitzungen) und Anlagekommission (2 Sitzungen). Im laufenden Jahr wurden viele interne Projekte abgeschlossen oder massgeblich vorangebracht (Datenschutz, neues elektronisches Verwaltungssystem, Ausbau und Reorganisation der Bereiche Freitodbegleitung, Personalwesen, Kommunikation und der Geschäftsleitung). Auch wenn am Ende daraus effizientere Abläufe und Erleichterung resultieren, bedeuten solche Umstellungen für die Mitarbeitenden eine Herausforderung mit vorübergehend schwierigen Phasen. Dennoch darf ich mit Freude festhalten: das interne Klima ist gut und die Motivation ungebrochen hoch.
Stellvertretend für den Gesamtvorstand spreche ich an dieser Stelle allen ein herzliches Dankeschön aus, die in ganz verschiedenen Funktionen zum guten Gelingen beigetragen haben: den Mitarbeitenden der Geschäftsstelle und der Aussenbüros, den Mitgliedern des Begleitteams und den Infusionsfachpersonen, der Geschäftsprüfungskommission, den Konsiliarärztinnen und Konsiliarärzten, dem Stiftungsrat palliacura, dem Geschäftsführer, dem Gesamtleiter Freitodbegleitung sowie meinen Kolleginnen und Kollegen im Vorstand.
Marion Schafroth
Freitodbegleitung (Andreas Stahel)
Freitodbegleitung: Gewappnet für die Zukunft
Der strukturelle und organisatorische Umbau in Form einer Regionalisierung der Freitodbegleitung mit Aufteilung in sieben Regionen konnte diesen Sommer, früher als geplant, erfolgreich abgeschlossen werden. Es handelt sich um folgende Regionen: Ostschweiz, Zürich-Ost, Zürich-West, Nordwestschweiz, Espace Mittelland, Zentralschweiz und Tessin. Jede Region wird von einer Regionalleitungsperson geführt, welcher je ca. 10 bis 15 Begleitpersonen unterstehen. Mit diesem Um- und Ausbau ging die Überführung und Einbindung des bisherigen zentralen Beratungsteams in die verschiedenen Regionalteams einher. Damit wird eine deutliche Verbesserung und Professionalisierung sämtlicher Prozesse erreicht, mit mehr Nähe zu den einzelnen Mitgliedern, rascherer Reaktionszeit und kürzeren Reisezeiten.
Der im letzten Jahresbericht angekündigte personelle Ausbau auf der zentralen Geschäftsstelle in Zürich konnte ebenfalls erfolgreich mit hochqualifizierten Personen umgesetzt werden. Dies führte auch in unserem Ressort zu einer Entlastung der Ressortleitung und zu einer deutlichen Effizienzsteigerung. Dazu gehören folgende Stellen: eine Personalverantwortliche, ein juristischer Dienst vor Ort, eine FTB-Aus- und Weiterbildungsverantwortliche, ein FTB-Sekretariat sowie ein Ausbau der FTB-Administrationsabteilung. Hinzugekommen ist ab Januar 2024 eine Fachperson Medizinische Dienste, welche ergänzend die unterschiedlichsten medizinischen Themen bearbeiten kann.
Vor allem im Bildungsbereich können nun die Ausbildungskurse sowie die diversen Weiterbildungsveranstaltungen des Ressorts entscheidend ausgebaut und professioneller geplant und gestaltet werden. Im Hinblick auf das ungebrochene Wachstum der Anzahl unserer Dienstleistungen im Bereich des assistierten Suizids ist eine qualitativ hochwertige Ausbildung von allen unseren Begleitpersonen und Mitarbeitenden der FTB-Administration von grosser Bedeutung.
Zudem konnten wir unser gesamtes Netz an Konsiliarärztinnen und -ärzten weiterhin entscheidend erweitern und dürfen in den verschiedenen Regionen zurzeit mit insgesamt 76 somatischen und 45 psychiatrischen Konsiliarärztinnen und -ärzten zusammenarbeiten. Dieses Netz wird weiterhin laufend bedarfsgerecht vergrössert werden, um raschere Einsatzzeiten sowie eine bessere regionale Vernetzung zu erreichen.
Gleichzeitig werden wir unsere Anstrengungen intensivieren müssen, um die weiterhin verbreitete ablehnende Haltung von Kliniken und Ärzteorganisationen gegenüber EXIT abzubauen und das Verständnis für unsere Tätigkeit zu verbessern. Dabei müssen wir aufzeigen, dass die wachsenden palliativmedizinischen Aktivitäten in der Schweiz und die Unterstützung durch EXIT in der allerletzten Lebensphase im Endeffekt dem gleichen Zweck dienen und sich gegenseitig keinesfalls ausschliessen, sondern ergänzen können. Es geht nämlich, unter Abwägung sämtlicher Umstände, immer um die Problemlösung im Sinne einer verständnisvollen und mitfühlenden Hilfe für schwer leidende Mitmenschen am Lebensende.
Auch der schweizerische Föderalismus beschäftigt EXIT regelmässig stark. Jeder Kanton hat eigene Richtlinien und Vorschriften, welche beachtet werden müssen, z.B. bei administrativen Problemen mit den diversen Berufsausübungsbewilligungen oder bei den polizeilichen Abläufen nach einer Freitodbegleitung resp. den Legalinspektionen. In diversen Kantonen sind wir daran, mit den massgebenden Behörden in Kontakt und ins vertiefte Gespräch zu kommen. Im Kanton Zürich sind wir diesbezüglich schon weit fortgeschritten. Jährliche Rundtischgespräche der
Führungsgremien des Ressorts FTB mit den leitenden Vertretern der Oberstaatsanwaltschaft, der Polizeiführung, der Justizdirektion und der Gerichtsmedizin sind nun institutionalisiert. Das gegenseitige Verständnis ist spürbar gewachsen und auftauchende Probleme können mittlerweile rasch und unbürokratisch gelöst werden.
Andreas Stahel
Aus der Statistik
Anzahl Akteneröffnungen (AE) / Freitodbegleitungen (FTB) / Mitglieder (MG)
Statistik AE/FTB/MG | 2023 | 2022 | 2021 | 2020 | 2019 | 2018 |
Akteneröffnungen | 1586 | 1567 | 1328 | 1185 | 1152 | 1207 |
FTB total | 1252 | 1125 | 973 | 913 | 862 | 905 |
FTB Frauen | 759 | 660 (58,7%) | 571 (58,7%) | 538 (58,9%) | 508 (58,9%) | 516 (57,0%) |
FTB Männer | 493 (39,4%) | 465 (41,3%) | 402 (41,3%) | 375 (41,1%) | 354 (41,1%) | 389 (43,0%) |
Durchschnittsalter (Jahre) | 80 | 79,6 | 78,2 | 78,7 | 78,2 | 78,2 |
EXIT-Mitglieder 31.12. | 167 631 | 154 118 | 142 233 | 135 041 | 128 212 | 120 117 |
Kommentar: Das anhaltend grosse Wachstum setzte sich auch im Jahr 2023 fort, was am erneut deutlichen Anstieg der Mitgliederzahlen und der Anzahl Freitodbegleitungen ersichtlich ist.
Sterbeort
| 2023 | 2022 | 2021 | 2020 | 2019 |
privat | 948 (76%) | 855 (76%) | 784 (81%) | 748 (82%) | 731 (85%) |
Sterbezimmer EXIT | 68 (5%) | 61 (6%) | 42 (4%) | 33 (4%) | 20 (2%) |
Heim | 234 (19%) | 209 (18%) | 147 (15%) | 132 (14%) | 111 (13%) |
Spital | 2 | 3 | 2 | 1 | 2 |
Gesamt | 1252 | 1125 | 973 | 913 | 862 |
Kommentar: Das Verhältnis der verschiedenen Sterbeorte zueinander hat sich auf dem Vorjahresniveau stabilisiert. Dabei scheint die Nachfrage nach Sterbebegleitungen in Heimen weiterhin ein laufend zunehmendes Bedürfnis zu sein.
Anzahl FTB in ausgewählten Kantonen
| 2023 | 2022 | 2021 | 2020 | 2019 |
Kanton ZH | 441 | 396 | 304 | 312 | 288 |
Kanton BE | 173 | 156 | 137 | 133 | 124 |
Kanton AG | 121 | 103 | 109 | 86 | 93 |
Kanton SG | 86 | 70 | 62 | 53 | 50 |
Kantone BS + BL | 91 (44+47) | 92 (40+52) | 88 (47+41) | 79 (35+44) | 52 (28+24) |
Anzahl FTB 2023 in weiteren Kantonen: LU 63, TG 56, SO 46, SH 29, GR 24, TI 21
Kommentar: Die in den letzten Jahren schon führenden Kantone liegen weiterhin vorne, wobei im Kanton Zürich mit grossem Abstand immer noch am meisten Freitodbegleitungen durchgeführt werden. Ebenso fällt auch eine klare Zunahme in den Kantonen Luzern und Solothurn auf.
Zugrunde liegende Krankheiten bei FTB (gerundet auf volle %-Zahlen)
2023 2022 | 2021 | |||||
ALS | 22 | 2% | 35 | 3% | 23 | 2 % |
Augenkrankheit | 36 | 3% | 6 | 0% | 11 | 1 % |
Demenz | 29 | 2% | 33 | 3% | 25 | 3 % |
Herzerkrankung | 55 | 4% | 24 | 2% | 24 | 2 % |
Hirnschlag | 38 | 3% | 20 | 2% | 22 | 2 % |
HIV | 0 | 0% | 2 | 0% | 0 | 0 % |
Krebserkrankung | 392 | 31% | 413 | 37% | 340 | 35 % |
Lungenkrankheit | 62 | 5% | 46 | 4% | 48 | 5 % |
MS | 17 | 1% | 10 | 1% | 22 | 2 % |
Nierenkrankheit | 1 | 0% | 5 | 0% | 1 | 0 % |
Parkinson | 57 | 5% | 43 | 4% | 32 | 3 % |
Polymorbidität | 338 | 27% | 320 | 28% | 264 | 27 % |
Polyneuropathie | 30 | 2% | 16 | 1% | 7 | 1 % |
Psychische Krankheit | 11 | 1% | 24 | 2% | 13 | 1 % |
Schmerzpatient | 126 | 10% | 108 | 10% | 119 | 12 % |
Tetraplegie | 5 | 0% | 4 | 0% | 6 | 1 % |
Andere | 33 | 2% | 16 | 1% | 16 | 2 % |
Total | 1252 | 1125 | 973 |
Kommentar: Bei den zugrunde liegenden Krankheiten kommen Krebs-, polymorbide Patienten und Schmerzpatienten weitaus am häufigsten vor (gerundet auf volle %-Zahlen).
Kommunikation (Anita Fetz)
Stets informiert auf verschiedenen Kanälen
Im Ressort Kommunikation haben wir im Jahr 2023 einiges unternommen, um unsere Mitglieder adäquat zu informieren und EXIT nach aussen darzustellen. Bewährt hat sich der regelmässige Newsletter an die Mitglieder. Er informiert über die Aktivitäten von EXIT und bietet Informationen zu verschiedenen Themen rund um ein selbstbestimmtes Leben bis zuletzt. Und wie jedes Jahr wurden viele Medienanfragen beantwortet und auf Anfrage Informationsveranstaltungen zu Sterbehilfe und Patientenverfügungen für diverse Organisationen durchgeführt.
Zum ersten Mal haben wir unsere Mitglieder zur Nutzung des EXIT-«Info» befragt. Der Rücklauf und die positiven Beurteilungen waren überwältigend. Die Redaktion hat die Wünsche aufgenommen und wir haben das Heft visuell etwas aufgefrischt. Herzlichen Dank an alle, die an der Umfrage teilgenommen haben.
Dem Thema interne und externe Kommunikation war der traditionell im April stattfindende interne EXIT-Tag in Solothurn gewidmet. In seiner spannenden Präsentation hat Patrick Rohr aufgezeigt, wie Medien funktionieren und wie EXIT als Organisation unter Berücksichtigung dieser Mechanismen die Öffentlichkeit über das sensible Thema Sterbehilfe informieren kann.
Nachdem der Zürcher Kantonsrat einen Antrag, der Sterbehilfeorganisationen den Zugang zu allen Alters- und Pflegeheimen ermöglichen sollte, überraschend abgelehnt hat, war das der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ein überparteiliches Initiativkomitee aus unterschiedlichen Persönlichkeiten – darunter auch ein EXIT-Vertreter – lancierte daraufhin im Frühsommer eine Initiative. Sie fordert die Zulassung von Freitodbegleitungen in allen Heimen und Spitälern im Kanton Zürich, auch in privaten. Denn sie alle erhalten öffentliche Subventionen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte unterstützt EXIT massgeblich eine Initiative. Bereits nach wenigen Monaten waren 13 000 (!) Unterschriften zusammen, so dass das Komitee die Initiative im November einreichen konnte – 6000 Unterschriften wären nötig gewesen. Dazu haben namentlich die Zürcher EXIT-Mitglieder beigetragen, die via Newsletter von uns informiert wurden. Vielen Dank! Wie geht es weiter? Die Initiative ist soeben für gültig erklärt worden. Nun gilt es die Behandlung durch die Regierung und das Kantonsparlament abzuwarten. Das dürfte einige Zeit dauern, weil die Mühlen der Politik bekanntlich langsam malen.
Wir bleiben dran und werden Sie regelmässig informieren. Im Herbst 2023 hat EXIT eine grosse Öffentlichkeitskampagne lanciert – zum ersten Mal auch digital. Unter dem Motto «Selbstbestimmt im Leben und Sterben» wurden verschiedene digitale Anzeigen in Onlinemedien, auf Screens in Poststellen und im öffentlichen Verkehr in verschiedenen Städten geschaltet. Zusätzlich haben wir einen Imagefilm produziert, der in diversen Filmkunst-Kinos im Werbeblock zu sehen war. Übrigens ist er auch auf unserer Website exit.ch auf der Startseite aufgeschaltet. Ausserdem war EXIT im November 23 an der Messe expo50plus in Zürich präsent. Denn Live-Kontakte mit Mitgliedern und Interessierten wollen wir trotz digitalen Möglichkeiten nicht missen.
Anita Fetz
Recht (Katharina Anderegg)
Viele Abklärungen und zwei klare Urteile
Ein wichtiges Thema im Berichtsjahr war die Ausarbeitung eines neuen Organisationsreglementes. Das bis heute geltende Reglement datiert von 2009 und entspricht nicht mehr den aktuellen Verhältnissen. Da wir seit 2024 mit der Implementierung einer Geschäftsleitung eine grundlegend neue Struktur haben, muss dies auch im neuen Reglement zum Ausdruck gebracht werden. Die vier Geschäftsleitungsmitglieder, welche ihre neue Funktion Anfang 2024 übernahmen, erhielten die Gelegenheit, zu dem vom Vorstand bereits diskutierten Entwurf Stellung zu nehmen. Die Verabschiedung der definitiven Version erfolgt gegen Ende des ersten Quartals 2024.
Wie bereits in früheren Jahren habe ich eine externe, auf Pharmarecht spezialisierte Anwältin mit diversen Abklärungen beauftragt, dies insbesondere im Zusammenhang mit unseren Sterbezimmern und den Anstellungsbedingungen der Infusionsfachpersonen.
Eine unserer Infusionsfachfrauen wurde im Jahr 2022 wegen vorsätzlicher Tötung angeklagt, weil sie bei einer Freitodbegleitung eine Infusion umgesteckt hatte (siehe vorjährigen Jahresbericht «Recht»). Die zuständige Staatsanwältin legte gegen das Urteil (ein klarer Freispruch) im Prozess gegen eine unserer Infusionsfachfrauen Berufung bei der nächsten Instanz, d.h. dem Obergericht des Kantons Bern, ein. Diese Berufung hat sie nach der Vorlage der schriftlichen Begründung der erstinstanzlichen Einzelrichterin zurückgezogen, das Urteil erwuchs somit in Rechtskraft. Die Zeit bis zum Rückzug bedeutete aber wiederum eine grosse Belastung für die betroffene Person. Wir waren alle erleichtert, einmal mehr hat ein Gericht zugunsten von EXIT entschieden, was unsere Vorgehensweise bestätigt.
Bei einem anderen Urteil (wieder ein Freispruch) galt es zu definieren, ob wir allenfalls unsere Vorgehensweise im Fall von psychisch beeinträchtigten Personen anpassen müssen. Da bei diesem Fall das Hauptleiden somatischer Natur war, konnte gemäss den Ausführungen des Gerichts auf ein Gutachten eines Psychiaters verzichtet werden. Wir kamen zum Schluss, dass wir, nicht zuletzt zum Schutz unserer Freitodbegleitpersonen, nichts verändern werden.
Da wir in unseren Zielen der aktuellen Amtszeit die Schaffung einer Ombudsstelle vorgesehen haben, habe ich den Vorstand über meine Erfahrungen bei bereits bestehenden Ombudsstellen informiert. Wichtige Punkte, welche vor der Einführung einer Ombudsstelle geklärt werden müssen, sind u.a.: Wer kann sich an sie wenden, nur Angehörige oder nur Mitglieder oder jedermann? Welche Aufgaben hat die Ombudsstelle, d.h. nimmt sie Reklamationen einfach entgegen oder kann sie dem Vorstand und/oder der Geschäftsleitung Weisungen erteilen? Wird eine Mediation angestrebt? Wer soll als Ombudsstelle eingesetzt werden, eine Anwaltskanzlei, eine einzelne Person oder eine bereits bestehende Organisation? Wie wird die Finanzierung geregelt? Diese Fragen zu klären, benötigt Zeit. Der Vorstand hat deshalb beschlossen, die Geschäftsleitung mit den Abklärungen zu beauftragen. Da es sich um relativ wenige Fälle handelt, kann das Resultat auch der Verzicht auf die Einrichtung einer Ombudsstelle sein.
Immer wieder bekommen wir Anfragen von liechtensteinischen Staatsbürgern, weshalb sie nicht Mitglied bei uns werden können. Bei der umfassenden Überarbeitung der Statuten hat der Vorstand dieses Thema diskutiert und ist zum Schluss gekommen, dass wir für diese Gruppe von Ausländern keine Ausnahme machen werden. Es wäre für andere Personen, welche im grenznahen Ausland leben, auch kaum verständlich, weshalb Liechtensteiner und Liechtensteinerinnen Mitglied werden können, jemand mit Wohnsitz Konstanz aber nicht. Und: Begleitungen können nur in der Schweiz stattfinden, es macht deshalb Sinn, dass nur Ausländer mit Wohnsitz in der Schweiz bei uns Mitglied werden können. Anlässlich eines Referates in Liechtenstein über unseren Verein habe ich diese Meinung klar zum Ausdruck gebracht, was auf Verständnis gestossen ist.
Im Berichtsjahr habe ich im Weiteren geholfen, die Trennung der Stiftung palliacura von unserem Verein umzusetzen. Einerseits habe ich die Stiftungsurkunde überarbeitet, andererseits abgeklärt, unter welchen Bedingungen der Sitz in einen anderen Kanton verlegt werden kann. Ab Anfang 2024 wird die Trennung umgesetzt sein. Dass wir nun neu eine Leiterin HR haben, welche zudem den internen Rechtsdienst abdeckt, hat zu einer spürbaren Entlastung von mir geführt. Ich werde zwar regelmässig vor gewissen Entscheidungen konsultiert, muss mich aber nicht mehr dem Tagesgeschäft widmen. Dass dies so gut funktioniert, ist eine grosse Freude.
Katharina Anderegg
Finanzen (Andreas Russi)
Digital bewährt sich
Der im Jahr 2022 aufgenommene Regelbetrieb des neuen CRM (Customer-Relationship-Management) – das elektronische Verwaltungssystem unserer Organisation – sowie der neuen Buchhaltungs-Software hat sich im Berichtsjahr 2023 bewährt. Die einem solchen Projekt inhärenten und kaum zu vermeidenden «Kinderkrankheiten» wurden und werden weiterhin Schritt für Schritt von den verantwortlichen Personen professionell bearbeitet. Die kontinuierliche technische und anwendungsseitige Weiterentwicklung wurde auch im Berichtsjahr 2023 mit grossem Einsatz verfolgt.
Mein Schwerpunkt im Berichtsjahr 2023 lag im Bereich des Gehaltsmanagement, konkret in der Lohnstruktur unserer Organisation. Unser Geschäftsführer und die neu installierte Personalabteilung haben aufgrund eines Vorstandsbeschlusses eine umfassende Lohnanalyse vorgenommen. Die im Nachgang vom Gesamtvorstand bekräftigte Leitlinie (z. B. Gleichstellung zwischen den Geschlechtern; Ausrichtung auf die Arbeitsregion, wo sich der Sitz von EXIT befindet) wurde im Budget 2024 entsprechend berücksichtigt. Dieses für mich wichtige Projekt gibt dem Vorstand die Gewissheit, für unsere Mitarbeitenden ein (auch in finanzieller Hinsicht) attraktiver Arbeitgeber zu sein und auch zu bleiben.
Die wesentlichen Informationen zum Tagesgeschäft und zu weiteren wichtigen Aufgaben, die ein Finanzvorstand in seiner Querschnittfunktion innehat, habe ich über den regelmässigen Austausch mit dem Geschäftsführer und dem Leiter Finanz- und Rechnungswesen sowie dessen Stellvertreter erhalten. Die Vorbereitung und periodische Finanzberichterstattung an den Vorstand sowie die Mitarbeit in den Vorstandsgeschäften der anderen Ressorts bleiben für mich nach wie vor spannend.
Im Berichtsjahr habe ich in meiner Funktion als Präsident zwei Sitzungen der Anlagekommission (ALK) vorbereitet und geleitet. Im dritten und vierten Quartal hat die ALK für anstehende Entscheidungen den Zirkularweg benutzt. Für die jeweils vertieften Abklärungen und Analysen konnte ich auf die bewährte Zusammenarbeit mit unseren Anlageberatern zurückgreifen. Bei den Entscheiden über die Finanzanlagen standen die Erhaltung des Gleichgewichts in unserer Vermögensallokation im Vordergrund. Die verzinslichen Werte haben im Berichtsjahr eine Wiedergeburt erfahren und gaben der ALK die Möglichkeit, mit Investment-Grade-Papieren den Risiken möglicher konjunktureller und geostrategischer Auswirkungen an den Aktienmärkten etwas entgegenhalten zu können. Die von vielen befürchtete Rezession blieb zum Glück jedoch aus und die wichtigsten Aktienmärkte blieben überwiegend ruhig, zeigten gegen Jahresende sogar Neigungen zu Rekordständen.
Somit war das Börsenjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr für EXIT weniger herausfordernd. Die bisher umgesetzte langjährige Anlagestrategie und der starke Schweizer Franken haben dazu beigetragen. Auf was die Kapitalmärkte im Jahr 2024 reagieren werden, weiss niemand. Demzufolge wird Aufmerksamkeit auch im Börsenjahr 2024 notwendig sein.
Das Budget 2024 – die Genehmigung durch den Vorstand erfolgte in der Dezember-Sitzung 2023 (siehe separaten Kommentar zum Budget 2024) – und die Jahresrechnung zum Vereinsjahr 2023 bildeten meine weiteren Schwerpunkte. Meine Freude und Befriedigung in meiner Vorstandstätigkeit sind ungebrochen und ich freue mich auf das folgende Vereinsjahr.
Andreas Russi
Geschäftsführung (Bernhard Sutter)
Starkes Mitgliederwachstum hält an
Die Vereinsverwaltung ist im Berichtsjahr ganz im Zeichen der Konsolidierung sowie des hohen Wachstums der Mitgliederzahl gestanden. Finanziell geht es EXIT weiter gut. Das Geschäftsjahr 2023 startete keine drei Monate nachdem wir das von Grund auf neuprogrammierte Computersystem in Betrieb genommen hatten. Die Konsolidierung erforderte etwas Zeit. Gewisse Nutzeranpassungen mussten etabliert und Abstimmungen und Schnittstellen mit externen Partnern optimiert werden. Allgemein aber funktionierte das neue System von Anfang an tadellos. Unsere IT-Abteilung haben wir aufgestockt, leicht umstrukturiert und serviceorientierter ausgestaltet.
Als Geschäftsführer war mir wichtig, die Informatik von extern auf die Sicherheitsaspekte prüfen zu lassen. Diese Belastungstests und Audit-Massnahmen nahmen ebenfalls Zeit in Anspruch. Wir haben – wie bei einem brandneuen System erwartet – gut abgeschnitten; und wo es noch Lücken gab, haben wir diese umgehend schliessen lassen. Wie für alle Schweizer Unternehmen war der
1. September 2023 auch für EXIT ein spezielles Datum. Das Inkrafttreten des neuen Datenschutzgesetzes hatte weitreichende Vorbereitungen verlangt. Mit einer Folgeabschätzung durch externe Spezialisten waren und sind wir ebenfalls mit einer Konsolidierung beschäftigt, die bis ins laufende Jahr reicht.
Diese Anstrengungen und Investments haben 2023 Früchte getragen: Wir konnten den Mitgliederbestand um netto 13 513 Personen erhöhen. Und dies mit konstantem Wachstum übers gesamte Jahr (ein Plus von 8,77 Prozent, so viel wie letztmals im Jahr 2018). Täglich erreichen Rückmeldungen zufriedener Mitglieder die Geschäftsstelle. Das spornt uns an. Das Wachstum zog Personalrekrutierungen nach sich. Trotz ausgetrocknetem Arbeitsmarkt und Fachkräftemangel ist dies gut gelungen. Die Leiterin FTB verabschiedete sich in die Pension. Ihre Nachfolge konnte erfolgreich gesichert werden.
Das Arbeitsklima ist angenehm, wie eine Angestelltenumfrage zeigte. Als Geschäftsführer freue ich mich, auf derart motivierte Mitarbeitende zählen zu können. Die Vereinsfinanzen sind dank umsichtigem Umgang, stetem Wachstum und der Grosszügigkeit der Spendenden grundsolide und gesund. Dies ermöglicht Projekte wie die Präsenz an der Messe 50+, eine digitale SichtbarkeitsKampagne oder die Unterstützung einer Zürcher Initiative. Unsere Geschäftsliegenschaft in Zürich will unterhalten sein. 2023 standen neben einer Risskontrolle (aufgrund Bauarbeiten in der Nachbarschaft) der Ersatz von Balkongittern und periodische Arbeiten an.
Als einer der grösseren Vereine der Schweiz betreut EXIT heute mit über 100 Mitarbeitenden knapp 168 000 Mitglieder. Wir sind bereit für weiteres Wachstum. Im Berichtsjahr haben wir zur Freude aller viele Anlässe wie EXIT-Tag, Treffen und Seminare sowie natürlich die Vereinsversammlung im Zürcher «Volkshaus» organisiert. Die Zusammenarbeit mit Gesundheitsbranche, Behörden und Politik ist von Respekt sowie dem Willen aller bestimmt, Patienten/innen ihr Selbstbestimmungsrecht zu ermöglichen.
Der Austausch mit Schwesterorganisationen im In- und Ausland war fruchtbar, sei es per Online-Sitzung oder persönlich. Nebst den Treffen mit deutschen und mit Schweizer Kollegen und Kolleginnen ist hier auch eine Anhörung des britischen Unterhauses zum Schweizer FTB-Modell zu nennen. Dem Dank der Präsidentin für das Vertrauen der Mitglieder und des Gesamtvorstands sowie an die Mitarbeitenden für ihren unermüdlichen Einsatz schliesse ich mich an. Besonders wollen wir den 4018 Mitgliedern gedenken, die uns im Jahresverlauf verlassen mussten. Darunter Pfarrer Werner Kriesi, der EXIT viele Jahre in Vorstand und FTB-Leitung unterstützt hat.
Bernhard Sutter
Geschäftsprüfungskommission (GPK)
Die Geschäftsprüfungskommission (GPK) von EXIT ist ein Kontrollorgan, das im Auftrag der Mitglieder prüft, ob Vorstand und Geschäftsleitung die statutarischen und rechtlichen Anforderungen erfüllen. Sie erhält jeweils die Protokolle der Vorstandssitzungen und bekommt einen Einblick in die laufenden Geschäfte der beiden Gremien.
Ausserdem vergewissert sich die GPK, ob die Beschlüsse der Vereinsversammlung korrekt und ordnungsgemäss umgesetzt werden. Die GPK hat im Geschäftsjahr vier Sitzungen durchgeführt. Ausserdem haben die GPK-Mitglieder in bilateralen Gesprächen mit der Geschäftsleitung und dem Führungsteam der Freitodbegleitung verschiedene Aspekte, Prozesse und Abläufe diskutiert und Informationen ausgetauscht. Dabei wurden auch Anregungen platziert. Ausserdem pflegten die Mitglieder der GPK untereinander einen mündlichen und schriftlichen Austausch zu aktuellen Fragen.
An der Sitzung vom 30. März 2023 ging es primär um die Konstituierung. Nach dem Rücktritt des GPK-Präsidenten Patrick Middendorf und der Wahl des neuen Mitglieds Urs Thalmann an der vorgängigen Vereinsversammlung bestimmte die neu zusammengesetzte GPK Hugo Stamm als dienstältestes Mitglied zum Präsidenten. Christa Stamm stellt sich weiterhin als Protokollführerin zur Verfügung, Urs Thalmann legt den Schwerpunkt auf die Aktenkontrolle. Als unabhängige Instanz will die GPK mithelfen, das Vertrauen der EXIT-Miglieder in den Vorstand und die Geschäftsleitung zu festigen. Die GPK prüft stichprobenartig die umfangreichen Akten der Freitodbegleitungen. Dabei geht es primär um die Frage, ob die Kriterien statutengemäss und nach den erforderlichen Standards erfüllt werden. Diese Aufgabe dient der Qualitätskontrolle.
Bei der Sitzung vom 9. Juni 2023 tauschten die Mitglieder ihre Erfahrungen aus, die sie bei den Einzelgesprächen mit den Führungskräften der Freitodbegleitung gemacht hatten. Dabei lobten alle drei den konstruktiven Austausch. Die GPK-Mitglieder erhielten einen vertieften Einblick in die Arbeitsweise der Freitodbegleiterinnen und -begleiter und konnten ihre Anregungen aus der Aktenkontrolle vorbringen. Weiter tauschten wir unsere Erfahrungen bei der Aktenkontrolle aus, die wir seit der Digitalisierung am Computer durchführen.
An der Sitzung vom 27. September 2023 ging es zur Hauptsache um die Arbeitsbedingungen der Begleitpersonen. Christa Stamm hatte die Anstellungsverhältnisse, Arbeitsunterlagen und Richtlinien studiert und kam zum Schluss, dass alle Aspekte den hohen Standards von EXIT entsprechen.
Am 23. November 2023 traf sich die GPK mit den EXIT-Mitarbeiterinnen, die für die Verwaltung des Sterbemittels Natrium-Pentobarbital zuständig sind. Die GPK konnte sich überzeugen, dass der Umgang mit den sensiblen Mitteln mit grosser Sorgfalt gepflegt und den notwendigen Sicherheitsstandards Rechnung getragen wird.
Die GPK traf sich im Jahr 2024 erstmals am 26. Februar mit Marion Schafroth, EXIT-Präsidentin, Andreas Russi, Vorstandsmitglied Ressort Finanzen, Bernhard Sutter, Geschäftsführer und Romano Cavegn, Leiter Finanzen sowie mit der externen Revisorin Claudia Suter, um die Jahresrechnung 2023 zu besprechen.
Die GPK stellt fest, dass das Vereinsvermögen sorgfältig bewirtschaftet und verantwortungsvoll verwaltet wird. Sie dankt dem Finanzchef Andreas Russi für die umsichtige und kompetente Verwaltung des Vereinsvermögens. Die GPK konnte im Berichtsjahr keine Mängel oder Defizite ausmachen. Sie stellte vielmehr fest, dass alle Instanzen und Gremien von EXIT ihre Arbeiten gewissenhaft und mit viel Engagement erledigt haben. Sie ist sich auch bewusst, dass die Herausforderungen wegen des raschen Wachstums und der Digitalisierung sehr hoch waren. Deshalb verdankt sie die ausgezeichnete Arbeit aller Beteiligten. Vom Vorstand über das Team der Begleitpersonen, bis zu den Konsiliarärzten und -ärztinnen und den Mitarbeitenden der Geschäftsstelle haben alle mit viel Engagement und professionellem Einsatz die vielfältigen Herausforderungen gut gemeistert. Verdanken möchte die GPK auch die ausgezeichnete Arbeit und das grosse Engagement des zurückgetretenen GPK-Präsidenten Patrick Middendorf. Mit seiner umsichtigen und freundlichen Art leistete er EXIT einen grossen Dienst. Darüber hinaus leitete er die Arbeitsgruppe zum Thema Altersfreitod, die eine umfrangreiche Dokumentation erstellte. Diese dient weiterhin als Grundlage für den Umgang mit dem sensiblen Thema.
Hugo Stamm (Präsident), Dr. Christa Stamm, Dr. Urs Thalmann