Neue ärztliche Richtlinien zur Suizidhilfe: Praxis von EXIT wird davon nicht beeinflusst
Die Ärzteorganisationen FMH und Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) haben ihre Richtlinien zur Suizidhilfe verschärft. Der EXIT-Vorstand hat diese überprüft und kommt zum Schluss: Für Ärztinnen und Ärzte, die einen Wunsch nach Suizidhilfe in Kooperation mit EXIT beurteilen, haben diese Richtlinien keinerlei Änderungen am Abklärungsgang zur Folge.
Eine gemeinsame Arbeitsgruppe der SAMW und FMH hatte die im Jahr 2018 verabschiedeten und von EXIT unterstützten medizinisch-ethischen Richtlinien zur Suizidhilfe im Geheimen überarbeitet. 2021 stimmte die SAMW dem neuformulierten Dokument zu, im Mai 2022 die Ärztekammer der FMH. Somit sind die Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod» in die Standesordnung der FMH überführt worden. Trotz der warnenden Medienmitteilung (siehe auch Newsmeldung vom 4. Mai 2022) von sechs Schweizer Sterbehilfeorganisationen im Vorfeld geschah dies ohne eine Gelegenheit zur Vernehmlassung durch die Basis der Schweizer Ärzteschaft sowie die Patienten- und Sterbehilfeorganisationen. Für EXIT ist sowohl der Ablauf der Überarbeitung wie auch der Inhalt der Richtlinien befremdend.
Zu den inhaltlichen Veränderungen:
Die Voraussetzungen, unter denen gemäss Richtlinien ein Arzt Suizidhilfe leisten könne, wurden nicht «präzisiert», sondern so verschärft, dass Unterstützung beim assistierten Suizid für den einzelnen Arzt und damit auch für die Patienten erschwert wird. Einige Beispiele:
- «Zwei ausführliche Gespräche im Abstand von mindestens zwei Wochen» können im Einzelfall (z.B. zunehmende Atemnot mit drohendem Ersticken) unzumutbar sein bzw. die Suizidhilfe verunmöglichen; Ausnahmen werden erwähnt, der Arzt aber allein gelassen, was die FMH denn darunter versteht.
- Die Forderung nach einer «entsprechenden Diagnose und Prognose» verkennt, dass auch psychosoziale Faktoren insbesondere bei Hochbetagten (Mit-) Ursache schweren, existentiellen Leidens sein können und einen Sterbewunsch nachvollziehbar (mit-) begründen können. Gesundheit ist mehr als bloss die Abwesenheit von Krankheit und medizinisch fassbaren Funktionseinschränkungen! Das hat die WHO bereits im Jahr 1948 definiert.
- Die Forderung, man müsse zusätzlich auf die Bedürfnisse der Angehörigen, aber auch des interprofessionellen Betreuungsteams und des Umfelds Rücksicht nehmen, «die benötigte Unterstützung ist zu geben und dies ist zu dokumentieren» ist nicht nur überrissen, sondern unzulässig. Denn dadurch würde das Arzt-Patienten-Geheimnis verletzt. Zudem ist es für Ärztinnen und Ärzte schlicht nicht möglich, das gesamte Umfeld einzubeziehen, deren Sorgen und Widerstände zu berücksichtigen und alles zu dokumentieren.
Zur intransparent anmutenden Art der Überarbeitung:
Warum wurde der Basis der Schweizer Ärzteschaft sowie den Patienten- und Sterbehilfeorganisationen keine Gelegenheit zur erneuten Stellungnahme gegeben, und der Text auch nach Genehmigung durch die obersten Gremien der SAMW als geheim eingestuft? Unschön, dass die FMH auch im Mai nach der Medienmitteilung von sechs Schweizer Sterbehilfeorganisationen weiterhin auf dieser Heimlichtuerei beharrte. Die Begründung – es handle sich um ein internes Verfahren, bei dem es nicht um inhaltliche Änderungen, sondern um blosse Präzisierungen ginge – ist nicht stichhaltig.
Ärztinnen und Ärzte, die sich nicht vertieft mit assistiertem Suizid und der juristisch eingeschränkten Bedeutung des Standesrechts befasst haben, dürften durch diese neuen Richtlinien gegenüber heute eher davon abschreckt werden, im Einzelfall ein Rezept für das Sterbemedikament auszustellen oder sich einer Sterbehilfeorganisation als Konsiliararzt oder -Ärztin zur Verfügung zu stellen.
Standesrecht ist kein objektives Recht
EXIT will deshalb klarstellen, dass Standesrecht kein allgemeines Recht ist, welchem zwingend zu folgen wäre. Ein Arzt oder eine Ärztin dürfen sich nach eigenen moralischen und ethischen Grundsätzen zur uneigennützigen Mithilfe bei der Suizidassistenz entscheiden.
Insbesondere die Forderung nach zwei Gesprächen im Abstand von mindestens zwei Wochen für Ärztinnen und Ärzte, die mit EXIT zusammenarbeiten, muss nicht berücksichtigt werden. Im Rahmen der organisierten Suizidhilfe finden immer auch zusätzliche Gespräche mit speziell geschulten Begleitpersonen statt. Deshalb lässt sich hier der Abschnitt «abgesehen von begründeten Ausnahmefällen» zur Anwendung bringen.
Der Einbezug von Dritten wie z.B. Angehörigen ohne ausdrückliches Einverständnis des Patienten würde das Patient-Arzt-Geheimnis ausser Kraft setzen und ist in diesem Fall rechtlich gar nicht zulässig.
Keine Änderungen beim EXIT-Abklärungsvorgang nötig
Bei einem Wunsch nach assistiertem Suizid führen die speziell geschulten EXIT-Begleitpersonen die Gespräche und nötigen Abklärungen durch. Ergänzend und unabhängig davon prüft der rezeptausstellende Arzt den Sterbewunsch und die Urteilsfähigkeit – sei dies eine Hausärztin oder ein von EXIT zugezogener Konsiliararzt.
Nach eingehender Prüfung ist der EXIT-Vorstand der Meinung, dass die revidierten SAMW-Richtlinien keinerlei Änderungen am Abklärungsgang von Ärztinnen und Ärzten zur Folge haben, soweit sie einen Wunsch nach Suizidhilfe in Kooperation mit EXIT beurteilen. Die bestehende Praxis bewährt sich seit Jahrzehnten und entspricht den Vorgaben der geltenden Gesetzgebung und der konstanten Rechtsprechung. Standesrecht und SAMW-Richtlinien dagegen sind juristisch gesehen als Orientierungshilfen zu betrachten, die nicht immer und zwingend vollständig zu berücksichtigen sind.